Der Druck kommt über die Lieferkette
Von Peter Riedel, Enterprise Europe Network (EEN)
Wer sich ein kleines oder mittleres Unternehmen (KMU) in Deutschland vorstellt, bewegt sich gedanklich in einem ökonomischen Universum von 2,5 Millionen Unternehmen mit einem Jahresumsatz von rund 2 Billionen EUR. Erwirtschaftet von 16 Millionen Beschäftigten. 99 Prozent aller Unternehmen in Deutschland sind KMU. Sie sind der entscheidende Wirtschaftsfaktor, gerade für die bestehenden nationalen Lieferketten.
Um die limitierte wirtschaftliche Kraft von KMU zu berücksichtigen, bekommen diese in den unterschiedlichsten rechtlichen Bereichen bestimmte Ausnahmeregelungen zugestanden, etwa bei der Bilanzierung.
Dies soll auch für eine wesentliche europäische Veränderung bilanzrechtlicher Vorschriften gelten: Nach ihr sollen kapitalmarktorientierte Unternehmen mit einer Größe von mehr als 500 Beschäftigten in der EU ab 2025 in einem eigenen Abschnitt der Bilanz berichten, welche Schritte sie seit dem 1. Januar 2024 für die Transformation hin zu einem nachhaltigen Unternehmen unternommen haben.
Geregelt wird das in der "Corporate Sustainability Reporting Directive" (CSRD), einer von drei Säulen der "Sustainable Finance Strategy" der EU. Diese "Sustainable Finance Strategy" zielt zum einen darauf ab, Finanzierungen in wirtschaftliche Aktivitäten zu lenken, die nachhaltigen Zielen dienen. Zum anderen soll der Finanzsektor widerstandsfähig gemacht werden gegen Risiken des Klimawandels.
Dem Finanzmarkt Informationen zur Verfügung zu stellen, um Unternehmen dahingehend bewerten zu können, ist eine der wesentlichen Voraussetzungen, um diese Ziele zu erreichen. Es geht um die Frage, ob ein zu finanzierendes Unternehmen eine "nachhaltige Wirtschaftsaktivität" entfaltet oder nicht. Je mehr "grüne Unternehmen" die Finanzakteure im Portfolio haben, umso eher erfüllen sie die Ziele der "Sustainable Finance Strategy". Die Regelungen der CSRD sollen die Möglichkeit dieser Bewertung eröffnen. Ihr Ziel ist, Nachhaltigkeitsberichterstattung zu vereinheitlichen und damit vergleichbar und verlässlich zu machen. Um die Vereinheitlichung zu gewährleisten, hat die European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) einheitliche Standards definiert ("European Sustainability Reporting Standards" - ESRS), an denen die berichtspflichtigen Unternehmen künftig ihren Nachhaltigkeitsbericht ausrichten müssen.
Nachhaltigkeitsthemen genau analysieren
Da jedes Unternehmen unterschiedlich ist, sollte es zwingend vor der Erstellung des Nachhaltigkeitsberichts analysieren, welche individuellen Nachhaltigkeitsthemen überhaupt wesentlich sind ("Wesentlichkeitsanalyse"). Dadurch kann das Unternehmen den Umfang der Berichtspflicht deutlich einschränken. Es geht dabei um zwei Fragen mit unterschiedlichen Zielrichtungen (doppelte Wesentlichkeit):
Welche Chancen und Risiken haben Nachhaltigkeitsthemen im Unternehmen, für die finanzielle Lage und für das Geschäftsmodell (die sogenannte "Outside-in"-Perspektive)?
Welche tatsächlichen und potenziellen positiven und negativen Auswirkungen hat das unternehmerische Handeln auf den Menschen und auf die Umwelt (die sogenannte "Inside-out"-Perspektive).
Den berichtspflichtigen, kapitalmarktorientierten Unternehmen folgen in dieser Berichtspflicht ab dem Geschäftsjahr 2026 alle großen Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten, einer Bilanzsumme von mehr als 20 Millionen Euro und einem Umsatz von mehr als 40 Millionen Euro. Dabei genügt es, wenn mindestens zwei der drei Kriterien auf ein Unternehmen zutreffen. Experten erwarten, dass sich die Zahl der nach den Regeln der CSRD berichtspflichtigen deutschen Unternehmen dann auf rund 15.000 Unternehmen erhöht.
Nicht berichtspflichtig, aber betroffen
Was hat das mit KMU zu tun, die mit maximal 250 Beschäftigten von den Regeln der CSRD ausgenommen sind? Auf den ersten Blick nicht viel. Doch das Gefühl von Sicherheit, von dieser Regulierung ausgenommen zu sein, ist trügerisch:
Da die berichtspflichtigen Unternehmen auch ihre Liefer- und Wertschöpfungsketten betrachten müssen, werden sie durch den "Trickle-Down"-Effekt gezwungen sein, Informationen zu Nachhaltigkeitsthemen von ihren Lieferanten und Dienstleistern anzufordern. Bei denen kann es sich um Unternehmen handeln, die selbst gar nicht berichtspflichtig sind und daher nicht über die erforderlichen Informationen verfügen.
Die EU hat diesen Konflikt in ihrem Gesetzgebungsverfahren zwar gesehen und eine "Best-Effort-Escape"-Klausel eingefügt. Diese gilt aber nur für die ersten drei Jahre der Anwendung der CSRD-Regeln. In diesem Fall müssen die Unternehmen erläutern, welche Anstrengungen sie unternommen haben, um die fehlenden Informationen zu beschaffen, welche Gründe es gibt, aus denen die Informationen nicht beschafft werden konnten und was sie planen, um den Mangel künftig zu beheben. Vor allem aber werden in der Umsetzung der Berichtspflichten über die Liefer- und Wertschöpfungsketten jene KMU einen Nachteil haben, die ihren Kunden nur unzureichend nachhaltigkeitskonforme Informationen zum eigenen Unternehmen zur Verfügung stellen können. Völlig unabhängig davon, ob sie selbst formal berichtspflichtig sind oder nicht.
Für KMU gibt es einen einfachen Einstieg in das Thema
Wie zwingend die Erfordernisse zur nachhaltigen Transformation des eigenen Unternehmens geworden sind, sei vielen KMU im Detail aber oft noch nicht klar. "Schon heute werden KMU vermehrt von ihren Kunden gefragt, welche Energiesparmaßnahmen sie ergriffen haben oder ob Daten zum CO₂-Abdruck vorliegen", berichtet Dr. Rainer Waldschmidt, Geschäftsführer der landeseigenen Wirtschaftsförderung Hessen Trade & Invest GmbH (HTAI).
Wie die meisten Wirtschaftsförderungen der Länder, bietet auch die HTAI einen Nachhaltigkeitscheck für KMU an. "Mit relativ wenig Aufwand können die Unternehmen so den eigenen Status in Sachen Nachhaltigkeit ermitteln und Maßnahmen entwickeln. Das ist eine gute Chance, die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern", ist Waldschmidt überzeugt. KMU müssen Schritt halten mit den Anforderungen, die an die größeren Unternehmen gestellt werden. Denn von der Statuserfassung und der Festlegung notwendiger Nachhaltigkeitsmaßnahmen bis zur Umsetzung vergehen auch bei KMU nach Erfahrung der HTAI sechs Monate bis zwei Jahre.
Spätestens 2025 werden alle großen Unternehmen ihre Lieferketten kritisch durchleuchten. Nicht nur deshalb sollten sich KMU darauf einstellen und das Thema bald angehen.
Dieser Beitrag erschien am 10.07.2023 leicht gekürzt in der FAZ.